Dienstag, 2. September 2014

Los Desaparecidos

Die Verschwundenen

Über 350 000 Menschen ließen die lateinamerikanischen Militärdiktaturen verschwinden. In den 1970er und 1980 verloren Mütter ihre Söhne, Frauen ihre Ehemänner und Kinder ihre Eltern.

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Foto: rp-online.de


Im Ferbruar 2010 traf Abel Madariaga nach 32 Jahren Ungewissheit seinen Sohn Francisco. Er beschrieb das Treffen mit folgenden Worten: „Als ich durch die Tür kam wußten wir beide sofort, dass wir eine Familie sind.“
Abel und seine Frau Silvia gehörten 1978 zu einer linksgerichteten Widerstandsgruppe gegen die argentinische Miltärregierung. Ihm gelang die Flucht ins Exil. Seine Frau Silvia, im vierten Monat schwanger mit Francisco, verschwand spurlos.
Es war der 101. Mal, dass eine durch die Diktatur getrennte Familie wieder zusammenfand. Und erstmals konnte ein Vater seinen Sohn in die Arme schließen. Oft sind nur noch die Großeltern der später zur Adoption freigegebenen Kinder am Leben. Viele der „desaparecidos“ – der „Verschwundenen“, wie man sie heute in Argentinien kennt, sind von der Militärregierung ermordet worden. Die Gefangenen warf man lebendig aus Flugzeugen über dem Meer ab.
Die Suche nach den Kindern der „desaparecidos“ wird fortgesetzt. Gleichzeitig gibt es immer wieder spektakuläre Gerichtsverfahren, wie im Jahr 2012. Fast 30 Jahre nach Ende der Diktatur wurde gegen 68 weitere Beschuldigte im 5. Gericht von Buones Aires der Prozess eröffnet. Darunter waren acht Piloten der damaligen argentinischen Luftwaffe, die die sogenannten Todesflüge ausführten.

Augusto Pinochet in Chile, der argentinische General Jorge Rafael Videla und seine Nachfolger in Argentinien, Alfred Stroessner in Paraguay und Luis García Meza in Bolivien - sie stehen für einen Rechtsruck in Lateinamerika im Anschluss an die zerplatzten Idealer eines demokratischen Sozialismus - sie achteten keine Menschenrechte und verfolgten rücksichtslos die Oposition. Diese bekannte sich oft zu sozialistischen Idealen, war jedoch untereinander zerstritten und fürchtete die brutale Machtausübung der neuen Herren über den Kontinent. Ein Kontinent, der aufgrund seiner reichen Rohstoffvorkommen nach kurzen spektakulären Höhenflügen immer tiefer in Wirtschaftskrisen stürzte. Die großen Mehrheit der Argentinier, Bolivianer, Peruaner oder Brasilianer lebte in bitterer Armut oder weit außerhalb der staatlichen Strukturen. Die Diktatur brachte sie nun mit einem für sie neuen Typus von Überwachung und Kontrolle in Kontakt. Rassismus, Chauvinismus, radikaler Liberalismus - Bis auf Armee und Rohstoffe privatisierte Pinochet in Chile alles, in Argentinien führte man in einer national aufgeheizten Stimmung Krieg gegen England und in Bolivien wurde der Staat zum größten Kokainproduzenten. Die lateinamerikanischen Diktaturen waren so unterschiedlich wie die Völker, die ihre Länder bewohnen. Und doch hatten sie eine klare Gemeinsamkeit - eine, die sie unbedingt aufrecht erhalten wollten - zur Not auch gemeinsam. "Operation Condor" [link - Spanisch] hieß die übernationale Zusammenarbeit in der Verfolgung von Regimegegnern. Das Militär verhaftete Gewerkschaftler, ehemaligen Weggefährten auf dem Weg zur Alleinherrschaft oder Angehöriger linker Opositionsgruppen. Darin war man sich einig.
"Wo ist mein Sohn? Er kam nicht von der Arbeit zurück. Er hatte ein gestreiftes Hemd an. Er ist ein guter Junge...."
Ruben Blades (Panama) erzählt von einem der vielen vermissten Söhne und den unzähligen vermissten Töchtern und Ehemännern. Das Lied heißt "Desapareciones", hier in einer Version der "Fabulosos Cadillacs" (Argentinien) mit einem Livemittschnitt aus dem Jahr 1999.
Der Beginn der Militärdiktaturen makierte in Lateinamerika auch den traurigen Höhepunkt öffentlicher Gewalt auf den Straßen und geheimer Folterungen in vergessenen Kellern. Auch wenn in Guatemala oder San Salvador heute durch Bandenkriege wieder genauso viele Menschem sterben wie in den Zeiten der Diktatur  - niemals war die Verfolgung so koordiniert und perfide verfeinert. 
Im Vorfeld der blutigen Machtübernahmen - Anfang der 1970er Jahre - hatten sich sich die politischen Auseinandersetzungen radikalisiert. Fidel Castro schenkte Salvador Allende bei einem Staatsbesuch eine Kalaschnikov.
Viele Menschen wollten jedoch endlich Ruhe und Ordnung. "Frieden und Arbeit" wie es der bolivianische Diktator Hugo Banzer für sein Volk verkündete. Noch heute reden viele Chilenen nicht von einer Diktatur wenn man sie zu Pinochet befragt. Denn es war im Vergleich zur breiten Masse der Mitläufer und der sich ins Private Zurückziehenden nur eine kleine Minderheit, die den Widerstand über zwei Jahrzehnte aufrecht erhalten sollte. Ihre Opfer sind zu einem nationalen Trauma geworden. In Argentinien suchen heute Hunderte von Müttern medienwirksam ihre "Desaparecidos". Nicht nur in der Musik, auch im Film rückt die Erinnerung - "La Memoria" - in das kollektive Bewusstein des krisengeschüttelten Landes.

Ausschnitt aus dem Film "Garage Olimpo" - Argentinien 1999


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"La Memoria" von Leon Gieco - gesungen zusammen mit Victor Heredia - beide aus Argentinien

"La memoria pincha hasta sangrar a los pueblos que la amarran y no la dejan andar libre como el viento" 

"Die Völker, die sie nicht frei wie den Wind fliegen lassen, denen versetzt die Erinnerung blutige Stiche."


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