Montag, 15. Oktober 2012

Stanford-Gefängnis-Experiment III

Die Gefängniswärter verhielten sich nun immer mehr wie Strafvollzugsbeamte, weil ihr Zusammenhalt und ihre Identität durch den harten Umgang mit den Gefangenen gestärkt wurde. Sie arbeiteten nun besser zusammen, weil sie verhindern wollten, dass die Gefangenen sie fertig machen. Ihre Maßnahmen wurden immer brutaler: Sie schränkten die Toilettengänge der Gefangenen stark ein - nach 22Uhr mussten diese in einem Eimer in ihrer Zelle urinieren und defäkieren. Die Eimer durften nur noch in unregelmäßigen Abständen geleert werden. Im ganzen Gefängnis begann es nun nach Urin und Fäkalien zu riechen, was die Haftbedingungen extrem verschlechterte.
36 Stunden nach Beginn des Experiments brach bei einem der Gefangenen eine akute emotionale Störung aus. Er begann zu schreien und zu weinen. Die wissenschaftliche Leitung vermutete erst ein Ablenkungsmanöver, um die Freilassung zu erreichen und griff nicht in die Haftbedingungen ein. Als sich der Zustand des Häftlings weiter verschlimmerte und er den anderen Gefangen erzählte, dass sie diesen Ort niemals wieder verlassen würden, was für sehr viel Unruhe sorgte,wurde er schließlich doch entlassen.
Unter den Gefängniswärtern gab es drei Typen in Bezug auf ihren Umgang mit den Gefangenen. So versuchten drei von ihnen, die zu Beginn besprochenen Verhaltensregeln streng zu befolgen, mischten sich jedoch nicht ein, wenn ein Insasse mißhandelt wurde. Drei der Aufseher versuchten sogar, den Gefangenen ab und zu einen Gefallen zu tun und zeigten sich in Abwesenheit ihrer Kollegen sehr milde.
Foto: http://www.prisonexp.org
Ein Drittel der Aufseher nutzte die neu gewonnene Macht jedoch aus und ersann immer neue Methoden, um die Insassen zu demütigen. Während des Auswahlverfahrens für das Experiment hatten diese Personen keinerlei Symptome eines sadistischen oder zumindest eine andere Charaktereigenschaft wie Ungeduld oder Gereiztheit gezeigt, die auf diese Entwicklung hätte schließen lassen können. Im Gefängnis verloren sie ihre Menschlichkeit. An dieser Stelle gibt es eine eindeutige Parallele zum Verhalten US-amerikanischer Soldaten im Gefängnis von Abu Ghraib (Irak) im Jahr 2003.

Nach sechs Tagen wurde das auf zwei Wochen angelegte Experiment vorzeitig beendet. Die Gefangenen hatten sich zu diesem Zeitpunkt zu körperlichen und seelischen Schatten ihrer selbst entwickelt. Sie lebten in ständiger Angst vor ihren Bewachern. Nach einem der regelmäßig stattfindenden Besuchstage hatten sich die Eltern einiger Häftlinge an ihre Rechtsanwälte gewandt, um ihre Söhne aus dem Gefängnis herauszuholen. Der nun folgende enorme rechtliche Druck auf den leitenden Wissenschaftler, Philip G. Zimbardo, bewegte ihn schließlich zum Abbruch des Experiments. Im Nachhinein gab auch er zu, dass er sich zu diesem Zeitpunkt wirklich als Leiter einer Haftanstalt fühlte und den Realitätsverlust alleine nicht hätte überwinden können.

Orientiert an den Erfahrungen aus Zimbardos Experiment kam im Jahr 2001 ein deutscher Film mit dem Titel "Das Experiment" in die Kinos. Im Filmausschnitt wird der Nervenzusammenbruch eines Gefangenen und die nachfolgende Diskussion über einen Abbruch des Experiments gezeigt:
  
Wie bewertet Ihr die Ergebnisse des Stanford-Gefängnis-Experiments? Kann eine Erziehung im Respekt vor dem Leben sadistische Neigungen nur überdecken, jedoch niemals beseitigen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen