Sonntag, 2. September 2012

Haute Nazi Couture III

Die Kosten für eine vollständige HJ- oder BDM (Bund Deutcher Mädel)-Uniform beliefen sich auf ungefähr 200 Reichsmark - so hoch wie der durchschnittliche Monatsverdienst eines Großteils der damaligen Bevölkerung. Weil sie einfach zu teuer war, verfügte nur ein kleiner Teil der 8,7 Mitglieder der HJ und des BDM über eine komplette Uniform - und das waren auch diejenigen, die in den ersten Reihen standen, wenn die Kameras liefen. Selbst kleine Details gaben Aufschluss über das Vermögen der Eltern. War die BDM-Bluse zweireihig oder nur einreihig zuknöpfbar?
Der Dresscode der Bündischen Jugend oder der SwingJugend konnte ebenfalls nicht von allen Mitgliedern eingehalten werden. Die breite Masse der verschiedenen Befürworter oder Gegner des Dritten Reiches hatte nicht genug Geld, um den Uniform-Modetrends zu folgen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde im Nationalsozialistischen Deutschland die so genannte "Reichskleiderkarte" eingeführt. Jeder Bürger erhielt in regelmäßigen Abständen ein neues Punktekontigent, dass er für den Erwerb von Textilien nutzen konnte. Die Verkäufer in den Geschäften durften nur unter Vorlage der eingesammelten Punktekarten neue Kleidungsstücke - zusätzlich zum Geldwert der Ware - erwerben. [Foto: Auszug aus einer Reichskleiderkarte - return2style.de]

Ab 1939 wurden unzählige Textilien aus allen von den deutsch besetzten Gebieten per Feldpost in die Heimat geschickt. Jeder Soldat durfte bis zu 12 Pakete pro Tag verschicken. Da der Sold der Wehrmachtsangehörigen in Norwegen, Frankreich oder Griechenland im Vergleich zur dortigen Währung extrem aufgewertet wurde und die einheimischen Verkäufer gezwungen wurden, das deutsche Geld anzunehmen, wurde maßenhaft Kleidung an die Familien verschickt. Sehr zum Mißfallen der NS-Führung, die vorhatte, Berlin zum neuen deutschen Modezentrum Europas (oder der Welt) auszubauen.

Die Uniform der Wehrmacht wurde übrigens von Hugo Boss angefertigt. Bis heute sträubt sich das Unternehmen gegen eine transparente Aufarbeitung dieses Teils der Firmengeschichte.

Abschließend soll noch die so genannte "Schuhprüfstelle" im KZ Sachsenhausen erwähnt werden. Im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums wurden im KZ Sachsenhausen ab 1940 auf einer 700 m langen „Schuhprüfstrecke“ Schuherzeugnisse für die Verwendung im militärischen Einsatz geprüft. So wurde z. B. die Haltbarkeit des Materials getestet, indem die dem Arbeitskommando zugewiesenen Häftlinge täglich 30-40 Kilometer zurückzulegen hatten. Die Häftlinge durften sich nicht ausruhen. Das Anlehnen an Barackenwände wurde strengstens bestraft. Zur Erhöhung der Materialbelastung mussten die Häftlinge zusätzlich schwere Rucksäcke tragen. Die Zuweisung zum „Schuhläuferkommando“ konnte 3, 6, 9 Monate oder unbegrenzt dauern. Die chemische Industrie zahlte für die „Prüfversuche“ und die damit verbundene „Nutzung der Häftlinge“ eine Gebühr an die SS-Wirtschaftverwaltung. Die menschenverachtenden Umstände bei diesen Testversuchen führte dazu, dass täglich 15 bis 20 Gefangene starben.
[Text und Foto: Schuhprüfstrecke im KZ Sachsenhausen - hier konnten sieben verschiedene Straßenbeläge getestet werden                                                                         koenigin-luise-stiftung.de]


Hier noch ein weiterführender Link zu Hugo Boss:
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nazi-vergangenheit-von-hugo-boss-braune-hemden-1.1146339

Und zum Thema Schuhe können wir ein sehr interessantes Buch empfehlen:
Anne Sudrow: Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich, Göttingen 2010

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